Unternehmensanleihen leiden unter drei Faktoren

Eigentlich sind Unternehmensanleihen mit einer guten Bonität eine sichere Sache – doch momentan sieht die Lage anders aus. Ein Blick auf europäische Unternehmensanleihen zeigt: Seit ihrem Rekordhoch Ende Juli 2021 haben sie massiv eingebüßt. Zehn Prozent weniger sind es bisher. „Und es könnte weiter abwärts gehen“, wie Julia Groth vom Wirtschaftsmagazin „Wirtschaftswoche“ schreibt.

Es gibt nach Meinung von Groth drei Faktoren, die Unternehmensanleihen besonders treffen. Zum einen ist das die hohe Inflation. Sie sorgt dafür, dass die Zinslage generell unattraktiv ist. Als Zweites kommt hinzu, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Anleihenkäufe zurückfährt. Bald sollen sie laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit“ enden. Immer mehr Anleger gehen davon aus, dass die erste Zinserhebung durch die Notenbank im Juli dieses Jahres erfolgen wird. „Steigende Zinsen drücken die Kurse bereits emittierter Anleihen“, weiß Groth. Als Drittes stellt der Krieg in der Ukraine ein weiteres Konjunkturrisiko dar. All das führt dazu, dass die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen in die Höhe schnellen.

Während die Kurse von Staatsanleihen kaum vom Konjunkturausblick abhängen und Schuldtitel von Unternehmen mit schlechter Bonität (Hochzinsanleihen) einen größeren Zinspuffer haben, um Zinsanstiege abzufedern, stehen Unternehmensanleihen auf der Verliererseite. „Sie vereinen jetzt das Schlechteste aus beiden Welten. Sie sind wegen ihrer niedrigen Risikoaufschläge anfälliger für Zinsänderungsrisiken als Hochzinsanleihen und reagieren stärker auf Konjunkturrisiken als sichere Staatsanleihen“, schreibt Groth.

Brian Nick, Chefanlagestratege bei dem amerikanischen Vermögensverwalter Nuveen, rät, sich nicht „kopfüber in die längsten der langen Laufzeiten zu stürzen.“ Allerdings sollten Anleger die Anleiheinvestments auch nicht generell abschreiben.

Dennoch gibt es beim Kauf der Unternehmensanleihen gerade in den jetzigen riskanten Zeiten einiges zu bedenken: Auch ein starker Anstieg der Anleiherenditen reicht nicht aus, um die Teuerung auszugleichen. Dafür ist die Inflation in Deutschland zu hoch. Zudem könnte eine Stagflation eintreten – was bedeutet, dass Unterbeschäftigung mit einer Inflation einhergeht und die Wirtschaft nicht wächst. Nach Einschätzung von Groth würde eine solche Entwicklung „Unternehmensanleihen besonders hart treffen und dürfte auch die Ausfallraten bei Hochzinsanleihen in die Höhe treiben.“ Auch die Geldpolitik der EZB ist ein Risiko, das kaum zu kalkulieren ist.

Wer Unternehmensanleihen im Portfolio hat, kann eigentlich nur abwarten. Kursverluste zu begrenzen, ist jetzt nicht mehr möglich. Anleihen oder Anteile an Anleihefonds mit Gewinn zu verkaufen, ergibt erst bei einer Kurserholung Sinn. Diese kann noch lange auf sich warten lassen. Dann heißt es: abwarten – während die Unternehmensanleihen wanken.

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Quelle: https://www.wiwo.de/finanzen/boerse/anleihecrash-unternehmensanleihen-wanken-unter-dem-dreifach-hammer/28333386.html